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Sternengeschichten Folge 615: Astronomische Poesie Das ist die Transkription einer Folge meines Sternengeschichten-Podcasts . Die Folge gibt es auch als MP3-Download und YouTube-Video . Und den ganzen Podcast findet ihr auch bei
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Sternengeschichten Folge 615: Astronomische Poesie Die BeschĂ€ftigung mit den Sternen, den anderen Himmelskörpern, den Galaxien und dem Rest des Universums ist nicht nur Wissenschaft. Von Anfang an war der Himmel und das, was dort passiert, auch etwas, was Kunst, Literatur, Religion und so gut wie alle anderen Bereiche des menschlichen Lebens beeinflusst hat. Ich habe in frĂŒheren Folgen schon öfter ĂŒber die Mythen des Sternenhimmels oder ĂŒber die religiösen Aspekte der Astronomie gesprochen. Und natĂŒrlich auch ĂŒber Science Fiction, den Bereich, wo Astronomie und Literatur bzw. Film am direktesten aufeinandertreffen. Aber heute möchte ich ein Blick auf die Poesie werfen. Wer nach Gedichten mit astronomischen HintergrĂŒnden sucht, wird schnell fĂŒndig werden. Nehmen wir zum Beispiel das, was Friedrich Schiller im Jahr 1797 unter dem Titel âAn die Astronomenâ veröffentlicht hat. Was hat der groĂe Dichter und Denker der Astronomie zu sagen? Das hier:
âSchwatzet mir nicht so viel von Nebelflecken und Sonnen, Ist die Natur nur groĂ, weil sie zu zĂ€hlen euch gibt? Euer Gegenstand ist der erhabenste freilich im Raume, Aber, Freunde, im Raum wohnt das Erhabene nicht..â Gut â ich will hier jetzt keine Gedichtinterpretation machen. Aber natĂŒrlich muss ich da dem guten Schiller schon ein wenig widersprechen. Wenn es nach mir geht, kann gar nicht genug von Nebelflecken und Sonnen geschwatzt werden. Aber immerhin hat er recht damit, wenn er sagt, dass unser Gegenstand, die Astronomie, âder erhabenste im Raumeâ ist. Die Astronomie IST die beste Wissenschaft, was sonst. Wenn ich vermuten wollen wĂŒrde, was Schiller damit meint, dann etwas in der Art von: Die wissenschaftliche Erforschung der Welt ist das eine, aber ĂŒber diese materielle Forschung hinaus gibt es das âErhabeneâ, dass von der Wissenschaft nicht erfasst werden kann. Oder so irgendwie. Das geht in eine Ă€hnliche Richtung wie der Teil des Gedichts âLamiaâ des britischen Autors John Keats. 1819 hat er dort geschrieben:
âDenn flieht nicht aller Zauber vor den TĂŒcken NĂŒchterner Denkungsart? Da war einmal Ein Regenbogen hehr am Himmelssaal: Jetzt kennt man sein Gewebe, seinen Bau, Die Wissenschaft erklĂ€rte ihn genau Und rubrizierte ihn wie andre Dinge. Philosophie wirft ihre kecke Schlinge Um Engelsschwingen und um Zauberpracht In Luft und BergesschoĂ und Meeresnacht, ZerreiĂt die Wunder.â Keats beschwert sich darĂŒber, dass die Welt weniger spannend wird, wenn die Wissenschaft sie nĂŒchtern erklĂ€rt. Aber ich denke, da irrt er sich und sowohl Keats als auch Schiller wĂŒrden die Sache vermutlich anders sehen, wenn sie heute leben wĂŒrden und sehen könnten, was wir fĂŒr fantastische Dinge herausgefunden haben. Ja, es gilt immer noch, das die Wissenschaft die Wissenschaft ist und die Kunst die Kunst. Und die Vermittlung von Wissenschaft muss noch viel aufholen. Aber dass das Universum da drauĂen nicht nur wissenschaftlich erforscht sondern auch schlicht und einfach wunderbar gefunden werden kann, sollte heute klar sein. Ebenso klar ist es meiner Meinung nach auch, dass die Wunder nichts von ihrer Faszination verlieren, wenn man sie verstanden hat. Oder, um den Physiker Richard Feynman zu zitieren: Es kommt immer nur Schönheit dazu!
Vollmondnacht am FluĂ, gemalt von Goethe (
Bild: gemeinfrei )
Aber eigentlich soll sich diese Folge ja nicht mit Wissenschaftskritik in Gedichtform beschĂ€ftigen, sondern mit astronomischer Poesie. Schillers Freund Johann Wolfgang Goethe war nicht nur ein groĂer Dichter sondern auch Naturforscher. Er hat den Mond mit dem Teleskop betrachtet (unter anderem gemeinsam mit Schiller) und natĂŒrlich auch Gedichte darĂŒber geschrieben. 1778 sogar eines, das den Titel âAn den Mondâ trĂ€gt; mir ein bisschen besser gefĂ€llt sein Werk aus dem Jahr 1828 mit dem Titel âDem aufgehenden Vollmondâ, das mit folgenden Zeilen beginnt:
ââWillst du mich sogleich verlassen?
Warst im Augenblick so nah!
Dich umfinstern Wolkenmassen,
Und nun bist du gar nicht da.â
Da kann man natĂŒrlich viel hinein interpretieren, auch nicht-astronomische Themen. Aber alle, die sich schon mal auf die astronomische Beobachtung gefreut haben und dann vor einem wolkigen Himmel gestanden sind, können nachvollziehen, was Goethe da schreibt.
Es gibt aber auch Gedichte, die wissenschaftliche Erkenntnisse sehr direkt widerspiegeln. Zum Beispiel den schönen Text âDer Mondberg-Uhuâ von Christian Morgenstern:
âDer Mondberg-Uhu hat ein Bein, sein linkes Bein, im Sonnenschein. Das rechte Bein jedoch des Vogels bewohnt das Schattenreich des Kogels. Bis hundertfunfzig Grad im Licht gibt Herschel ihm (zwar Langley nicht), im Dustern andrerseits desgleichen dasselbe mit dem Minuszeichen. Sein Wohl befiehlt ihm (man versteht), daĂ er sich stetig ruckweis dreht. Er funktioniert wie eine Uhr und ist doch bloĂ ein Uhu nur.â Ein Uhu, der auf einem Berg am Mond steht, scheint nicht viel mit Wissenschaft zu tun zu haben. Morgenstern schreibt aber ĂŒber die Temperatur auf dem Mond. Das war eine Frage, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als das Gedicht erschien, noch nicht ganz geklĂ€rt war. Denn wie soll man das aus der Ferne messen? Der britische Forscher John Herschel hatte gegen Ende des 19. Jahrhunderts probiert, die Infrarotstrahlung des Mondes zu beobachten. Also die WĂ€rme, die vom Mond abgestrahlt wird, woraus man seine Temperatur berechnen kann. Das ist gar nicht so einfach, aber Herschel kam zu dem Schluss, dass Mondgestein im direkten Sonnenlicht enorm heiĂ sein muss, weit ĂŒber 100 Grad. Der amerikanische Wissenschaftler Samuel Pierpont Langley war anderer Meinung, seine Messungen legten nahe, dass die MondoberflĂ€che nur wenig ĂŒber Null Grad Celsius warm ist.
Genau das sind die Positionen, die in Morgensterns Gedicht auftauchen: Bis hundertfĂŒnfzig Grad im Licht, gibt Herschel ihm (zwar Langley nicht). Heute wissen wir, dass Herschel Recht hatte. Die Höchsttemperatur des Mondes im Sonnenlicht liegt bei circa 130 Grad, in der Nacht kann es auf -160 Grad abkĂŒhlen.
Die Verbindung zwischen Poesie und Astronomie funktioniert aber auch andersrum. Anstatt wissenschaftliche Erkenntnisse in Gedichtform zu packen, kann man auch probieren, astronomisches Wissen aus der Poesie zu extrahieren. Das hat man zum Beispiel bei der antiken Dichterin Sappho probiert, die vor mehr als 2500 Jahren auf der griechischen Insel Lesbos gelebt hat. Es sind nur wenige ihrer Gedichte erhalten, aber in einem davon wird es definitisch astronomisch:
âUntergegangen sind der Mond Und die Plejaden. Es ist Mitternacht, Die Stunden vergehen. Ich aber schlafe allein.â Das ist der Anfang des âMitternachtsgedichtsâ und wie es weitergeht, wissen wir nicht â mehr ist nicht erhalten. Und das ist natĂŒrlich nur die deutsche Ăbersetzung des originalen Textes und es gibt viele Möglichkeiten, das zu ĂŒbersetzen. Trotzdem ist klar: Sappho erzĂ€hlt hier nicht nur darĂŒber, dass sie in besagter Nacht alleine schlafen muss, sondern hat davor auch zum Himmel geschaut. Vielleicht hat sie auf die Person gewartet, die sie gerne in ihrem Schlafzimmer gehabt hĂ€tte und dabei Mond und Sterne betrachtet? Das werden wir nicht herausfinden, Forscherinnen und Forscher haben aber probiert, ob sie vielleicht rauskriegen können, wann Sappho in der Nacht gewartet hat. Immerhin gibt es ja ein paar halbwegs konkrete Angaben: Es ist Mitternacht, der Mond war zu sehen, ist es jetzt aber nicht mehr und gleiches gilt fĂŒr den Sternhaufen der Plejaden. Das Ergebnis: Irgendwann zwischen dem 25. Januar und dem 31. MĂ€rz. In dem Zeitraum kann man den Himmel auf der Insel Lesbos so sehen wie in Sapphos Gedicht. Das Jahr kann man damit natĂŒrlich nicht bestimmen und genaugenommen ist der Rest auch ein wenig zweifelhaft.
Sappho (
Bild: gemeinfrei Das, was in der deutschen Ăbersetzung âMitternachtâ heiĂt, muss zum Beispiel ĂŒberhaupt nichts damit zu tun haben, was wir heute unter dem Begriff verstehen. Es war damals nicht unĂŒblich, die Nacht in drei Abschnitte zu unterteilen und das, was Sappho im Original meint, wĂ€re besser mit âim zweiten Drittel der Nachtâ ĂŒbersetzt anstatt mit âMitternachtâ. Am Ende ist es ein Gedicht ĂŒber Einsamkeit und kein astronomisches Beobachtungsprotokoll und genau so sollte man meiner Meinung nach ingesamt mit dem Thema der astronomischen Poesie umgehen.
Die Sterne, die Nacht, der Mond und die Sonne: All das ist nicht nur Wissenschaft, sondern auch Inspiration. Wir wollen das Universum verstehen, aber wir wollen uns davon auch verzaubern lassen. Je nach persönlicher Einstellung können verstehen und verzaubern identisch sein oder nicht. Aber wenn wir Gedichte schreiben, dann wollen wir meistens unsere Emotionen ausdrĂŒcken. Und manchmal kann man dafĂŒr eben auch die Astronomie verwenden, so wie es der deutsche Dichter Friedrich RĂŒckert in seinem wunderbaren Gedicht âDu bist mein Mondâ getan hat, mit dem ich diese Folge auch beenden möchte:
âDu bist mein Mond, und ich bin deine Erde; Du sagst, du drehest dich um mich. Ich weiĂ es nicht, ich weiĂ nur, daĂ ich werde In meinen NĂ€chten hell durch dich. Du bist mein Mond, und ich bin deine Erde; Sie sagen, du verĂ€nderst dich. Allein, du Ă€nderst nur die Lichtgeberde, Und liebst mich unverĂ€nderlich. Du bist mein Mond, und ich bin deine Erde; Nur mein Erdschatten hindert dich, die Liebesfackel stets am Sonnenherde Zu zĂŒnden in der Nacht fĂŒr mich.â https://audio.podigee-cdn.net/1566541-m-22cbe0eecc334b521236a5301a6064d1.mp3?source=feed