[l] Viele meiner Medienkompetenzübungen funktionieren ja ganz gut, aber manchmal geht auch eine echt nach hinten los. Gestern hatte ich eine zu Covid-DIY-Impfungen.
Ich hatte da zwei Stories. Einmal eine zu einem Typen, der in seiner Garage eine Impfung gebaut und seinen Mitarbeitern verabreicht hat, ohne die dafür vorgeschriebenen Testreihen durchlaufen zu haben, und dafür eine Anzeige der zuständigen Behörde eingefahren hat, die genau dafür existiert, sowas zu verhindern. Sonst könnte ja jeder Krämer an der Straßenecke retrovirale Impfungen gegen Haarausfall verkloppen.
Ich habe zu dem extra zwei schöne Debunking-Links ins Blog getan, damit die Leute das lesen und sehen, wieso die Anzeige nicht nur berechtigt sondern gewollt war.
Es gibt da noch ein paar Details, die euch hätten auffallen können, als Teil der Übung. Erstens hättet ihr das mal googeln können und hättet dann
dieses Statement von Petra Falb finden können, die bei der zuständigen Behörde Gutachterin für die Zulassung von Impfstoffen ist. Oder ihr hättet bemerken können, dass die Querdenker (die ja ansonsten eher impfkritisch sind) voll auf den stehen, vermutlich weil der Stöcker
ein AfD-naher Klimakatastrophen-Leugner ist, der
zum Sturz der Kanzlerin aufrief. Von DEM würden die evidenzbasierten Alternativmediziner einen germanischen Impfstoff nehmen, was ihre Fundamentalopposition zu anderen Impfstoffen gar lustig kontrakariert.
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p>Aber egal. Eigentlich ging es mir ja nicht um die Rechten. Eigentlich ging es mir um die Linken. Diese Finnland-Meldung kam nämlich vom gegenüberliegenden Teil des Hufeisens (das gibt wieder böse Mails!1!!), von ein paar fundamentalmarxistischen Kapitalismusgegnern.
Meine eigentliche Hoffnung mit der Übung war, dass ihr die Argumente aus dem 1. Teil seht, und dann bei der Lektüre des 2. Teils merkt, dass die alle auch da passen. Dass, mit anderen Worten, Verschwörungstheorien unabhängig vom politischen Spektrum auf denselben Mustern aufbauen.
Oder, wenn ihr das nicht erkennt, hättet ihr wenigstens googeln können, dass der Oxford-Impfstoff schon im Januar 2020 fertig war, d.h. als dieser Impfstoff im Mai soweit war, war Oxford schon seit Monaten am Testen.
Stattdessen haben offenbar die meisten Leser den Eindruck gewonnen, dass ich hier den Stöcker feiern wollte. Nein. Wollte ich nicht. Im Gegenteil. Die Formulierungen haben das angedeutet, weil ich ja die Leute ansprechen wollte, die das glauben oder unentschlossen sind.
Tja. You win some, you lose some.
Übrigens gab es noch ein langen Leserbrief von jemandem, der eure Perspektive auf diese Impfstoffe möglicherweise radikal ändern wird:
In der Diskussion um den Stöcker (und jetzt auch noch diese Finnen!) kommt immer wieder von Experten (!) zum Ausdruck, dass man so ein komplexes Produkt ja gar nicht im Hobbykeller basteln kann. Das könnten nur Profis! Und schon gar nicht so ein Nazi-Opa in seiner Scheune (ja, für Ad-Hominem-Argumente ist der Stöcker sehr gut brauchbar).
Tatsächlich ist das Herstellen von einem rekombinanten Protein oder customized Adenovirus so einfach wie das Drucken eines hübschen Foto-Albums: Man braucht da nur im Internet einen Service anschreiben. Das hat der Stöcker sicher auch gemacht, und GENAU DESHALB kann er nicht sagen, was für eine Zell-Linie exakt das war.
Protein (chinesische Firma, kann man also bei Bedarf auch komplett an unseren Autoritäten vorbei bestellen): sinobiological.com
Adenovirus (hier dann mal eine US-Firma als Ansprechpartner): vectorbiolabs.com
Das sind nur die zwei ersten Fundstellen bei Google. Die, die dort Werbung bezahlt haben, dass man sie findet. Niemand, der sowas entwickelt, braucht dafür ein eigenes Labor! Die 10^12 Viren, die man da bekommt, reichen bei der Dosierung von AstraZeneca für 100 Impfungen, also genug für einen Phase-2-Test; wie viel Stoff man bei den Proteinen man so bekommt, habe ich jetzt nicht geguckt, wahrscheinlich auch so in der Größenordnung 100 Impfungen. Wenn man das richtig macht (also z.B. statt deaktivierte Replikation eine etwas abgeschwächte Replikation) kommt man vermutlich mit 10^6 Vektor-Viren pro Impfung hin, und kann sogar aus dem Rotz der geimpften weiteren Impfstoff gewinnen (so hat man übrigens die Pocken-Impfung repliziert: Die Pocken-Blasen an der Impfstelle enthalten genügend Kuhpocken-Viren für mehrere Impfungen). Dann könnte man mit einer Bestellung tatsächlich ganz Finnland durchimpfen und mit dem so entstandenen Rotz aus der Impfreaktion die ganze Welt.
Für die Antikörper-Tests braucht man auch keinen Drosten. Corona-Antikörpertest mit Titer kann jedes einigermaßen ausgestattete Labor, man muss die Probanden nur zum Hausarzt schicken. Mehr haben die kommerziellen Anbieter bei ihren Phase-2-Tests auch nicht gemacht.
Ich habe jetzt nicht gefragt, wie teuer der Spaß wäre (das geben die nicht direkt an, sondern “request a quote”), aber gehe davon aus, dass es sich um Budgets handelt, die kein Show-Stopper für ein Uni-Forschungsinstitut wären, denn das sind ja die üblichen Kunden. Entsprechend muss man sich nicht wundern, wenn Meldungen von Enthusiasten die Runde machen, die sich auf eigene Faust einen Impfstoff gebastelt haben. Ja, ne, die haben nur die DNA dafür auf dem Rechner zusammengeclickt, und das von so einem Service bauen lassen, mehr Aufwand ist das gar nicht mehr. Die Zellen, die die Vektor-Viren produzieren, haben das Adenoviren-Replikationsgen drin, und können deshalb auch ansonsten nicht vermehrungsfähige Adenoviren clonen. Serotyp und Payload kann man also frei wählen. Und bei rekombinanten Proteinen muss man eigentlich nur noch den Zelltyp anwählen (möglichst nah am Menschen).
Der Aufwand sind die Phase-3-Tests und der Aufbau der Massenproduktion. Nur, auch das Einkaufen und Betreiben von so Bioreaktoren und Aufreinigern ist kein Voodoo, sondern ebenfalls ein ganz normales bestellbares Produkt.
Der Hauptgrund der Aufregung scheint mir zu sein, dass so Hobbyisten-Free-Pharma-Produkte eine Industrie erschüttern würden wie einst GNU und Linux das mit der Software gemacht haben.
Nur, wenn man sich die Entwicklungszeiten anguckt, ist es um mehrere Größenordnungen einfacher, so einen Impfstoff zu *entwickeln* als irgendwelche freie Software. Irgendwo zwischen echo und cat oder so.
Und lasst euch nicht von „Unethisch!“ ablenken. Die Pharma-Industrie war bereit, 30 Millionen Afrikaner sterben zu lassen, nur um die Profite für die AIDS-Medikamente hoch zu halten. Denn nachdem der Patentschutz dort endlich aufgehoben wurde, waren die Medikamente als Generica für fast 2 Größenordnungen billiger zu haben, und DANN wollten auch die Krankenkassen von reichen westlichen Staaten plötzlich diese Wucherpreise nicht mehr bezahlen.
Es gibt im ganzen 20. Jahrhundert nur ganz wenige menschengemachte Katastrophen, die ähnlich viele Opfer gefordert haben wie die Pharma-Patente nur auf die drei AIDS-Medikamente. Russlandfeldzug. Großer Sprung nach Vorn. So, die Größenordnung.
Und die Verzögerung der Corona-Impfung durch die explizit als Marktzugangshemmnis aufgerichteten Impf-Regularien (die übrigens in pandemischen Situationen in vielen Ländern gekippt werden könnten, aber außer Russland und China hat das keiner gemacht) haben auch schon 2 Millionen Menschenleben gefordert.
Impfstoff-Entwicklung ist vor allem deshalb in der Regel schwierig, weil die verbliebenen Pathogene von Interesse böse Tricks auf Lager haben, die einen daran hindern, einfache etablierte Techniken zu nutzen, oder weil die Fälle so selten sind, dass man Jahrzehnte warten muss, bis die Kontrollgruppe endlich ihre 100+ Fälle durch hat. Das alles ist bei Covid-19 nicht der Fall: Die Impfstoffentwicklung ist trivial, das Virus hat keine bösen Tricks auf Lager, und die Kontrollgruppe durchseucht sich ziemlich schnell.
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