Nein, es ist kein Drittel aller E-Auto-Fahrer zum Verbrenner zurückgewechseltLetzte Woche wurde von diversen Medien behauptet, dass eine sehr hohe Zahl von Menschen in Deutschland vom E-Auto wieder zum Verbrenner zurückwechseln. Das Internet war anschließend voll von Meinungen, dass E-Autos ganz offenbar eine noch dümmere Idee seien als eine Modern-Talking-Reunion oder Pizza mit Kürbis, denn sonst würden die Menschen ihre E-Autos ja wohl behalten!
Der Witz an der Sache ist: Die allermeisten tun genau das. Sie behalten ihr E-Auto. Und der noch größere Witz ist: Wie viele das genau sind, weiß weder die
F.A.Z., noch der
MDR, die
Auto Motor Sport oder das
ZDF und natürlich auch nicht die Boulevarderzeugnisse WELT, Merkur.de und BILD (verlinke ich nicht, googelt bei Interesse gerne „ein drittel aller e-auto fahrer“). Dennoch konnten wir dort überall lesen: „Jeder dritte wechselt zurück zum Verbrenner“ oder „Jeder dritte E-Autofahrer will zurück zum Verbrenner“ (die F.A.Z. hatte mit „Immer mehr E-Auto-Fahrer wechseln zurück zum Verbrenner“ noch die beste Überschrift, wenn auch das nicht korrekt ist).
Was wir aufgrund des
HUK-E-Barometers tatsächlich wissen: Wenn ich von der Menge aller E-Auto fahrenden Menschen in Deutschland diejenigen abziehe, die das Auto gar nicht privat besitzen (Die HUK-Coburg versichert keine gewerblichen Fahrzeuge) und dann von der übrigen Menge wiederum die 75 Prozent rausrechne, die nicht bei der HUK-Coburg versichert sind, und dann von diesem Rest noch mal alle abziehe, die ihr Auto im Jahr 2024 behalten haben, dann haben von diesem übrig gebliebenen Rest der Menschen 66 Prozent ein E-Auto gekauft und 34 Prozent einen Verbrenner (
Seite 9). Letztes Jahr lag diese Quote mit 28 Prozent noch 6 Prozentpunkte niedriger.
Es wechseln mehr Menschen vom Verbrenner zum E-Auto als zurück
Um die Bedeutung dieser Nachricht einzuordnen, wäre es natürlich wahnsinnig spannend zu wissen, wie viele Menschen das gemessen an allen E-Auto-Fahrern überhaupt sind. Ich habe also mal bei der HUK-Coburg nachgefragt und recht schnell die nette, wenn auch etwas enttäuschende Auskunft bekommen, dass darüber aus geschäftspolitischen Gründen keine Aussage gemacht wird.
Für die Behauptung „jeder dritte E-Autofahrer wechselt wieder zum Verbrenner“ gibt es also keine Grundlage, denn das hat die HUK Coburg auf Seite 9 weder geschrieben noch impliziert. Das stimmte nur, wenn im Jahr 2024 ein Drittel
aller E-Autos im Bestand, immerhin etwa eine halbe Million Stück, gegen einen Verbrenner eingetauscht worden wären. Das ist, vorsichtig gesagt, unwahrscheinlich.
Die HUK-Coburg hat das aber wie gesagt auch nicht behauptet, im E-Barometer steht lediglich „Vergleich der jährlichen Treuquoten“ (sic) und „Quoten-Analyse je 100 versicherte Fahrzeugwechsel im HUK-Bestand“. Das ist insbesondere im Jahresverlauf betrachtet eine durchaus interessante Größe, denn für die Antriebswende, die Klimaziele im Verkehrssektor und auch den deutschen Industriestandort ist ein dauerhaftes Absinken dieser Quote keine gute Nachricht.
Daraus einen Rückschluss auf die Grundgesamtheit aller E-Autos in Deutschland zu ziehen, ist aber schon etwas abenteuerlich. Grundsätzlich ist es natürlich etablierte Praxis, auf Basis einer Stichprobe zu schätzen, was mit einer viel größeren, nicht so ohne weiteres messbaren Menge passiert.
Wenn ihr beispielsweise lest, dass letzten Sonntag 5 Millionen Deutsche den Tatort gesehen haben, dann ist das „nur“ eine Schätzung auf Basis der Fernsehgewohnheit
von etwa 11.000 Testpersonen in Deutschland, von denen an diesem Sonntag 730 den Tatort gesehen haben. Das mag ungenau klingen, kommt aber gut an den tatsächlichen Wert heran, solange die Stichprobe gewissenhaft gewählt wird. Bedeutet: Die ausgewählten 11.000 Personen
entsprechen bezogen auf Bundesland, Haushaltsgröße, Schulbildung, Geschlecht, Alter usw. ziemlich genau den 78 Millionen Deutschen ab 3 Jahren.
Stichprobe reicht für eine Aussage bezogen auf alle E-Autos nicht aus
Die Frage ist nun: Können wir genauso von besagter Stichprobe der HUK-Versicherten, die 2024 ein E-Auto verkauft haben, auf die Grundgesamtheit aller Menschen mit E-Auto hochgerechnet werden? Wohl kaum, denn die meisten Menschen mit einem 1 bis 4 Jahre alten Auto dürften über einen Verkauf bislang noch gar nicht nachdenken,
ein sogenannter Selection Bias.
Von allen Autos in Deutschland
fahren etwa 3 Prozent rein elektrisch. In Deutschland werden wiederum
etwa 6 Millionen Gebrauchtwagen pro Jahr verkauft, diese Autos
sind im Schnitt 7 Jahre alt. Selbst wenn wir jetzt mal davon ausgehen, dass tatsächlich 3 Prozent all dieser verkauften Gebrauchtwagen E-Autos waren (was unwahrscheinlich ist,
da 91 Prozent der deutschen E-Autos keine 4 Jahre alt sind und damit weit unter dem Alter, in dem die Deutschen ihre Autos verkaufen), kommen wir bei 174.000 verkauften E-Autos raus. Wenn davon jetzt besagtes Drittel zurück zum Verbrenner gewechselt ist, reden wir von 58.000 Verbrenner-Rückfälligen. Gemessen am Gesamtbestand aller E-Autos wären dann 3,7 Prozent aller E-Auto-Fahrer, nicht 34 Prozent.
Ist das eine seriöse Rechnung? Nein, die Annahmen sind wirklich sehr grob und ich würde die tatsächliche Zahl niedriger vermuten. Aber im Sinne einer Plausibilitätsprüfung würde ich mich dem Ergebnis so nähern und halte das für so viel wahrscheinlicher als 34 Prozent, dass ich einen größeren Geldbetrag darauf verwetten würde. Keine Sorge, den Gewinn verprasse ich nicht, sondern spende ihn für den erneuten Dreh der achten Staffel von Game of Thrones.
Ebenfalls verzerrend könnte hier übrigens wirken, dass vor 2 Jahren aufgrund der staatlichen Hilfen
extrem günstige Leasing-Raten angeboten wurden, die jetzt auslaufen. Auf eine Kundin mit einem solchen Vertrag, die sich primär wegen des günstigen Preises für ihn entschieden hat, und die jetzt vor der Wahl steht, für ein gleichwertiges E-Auto deutlich mehr zu bezahlen, könnte das schon eine Wirkung haben.
2 bis 4 Jahre alte E-Auto-Leasingverträge laufen jetzt aus
Ihr merkt schon, auch ich muss hier im Trüben fischen und kann mit Sicherheit nur sagen, dass es für die in vielen Medien-Überschriften kolportierte Zahl keinen Beleg gibt und er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit falsch ist. Es sind bestimmt nicht ein Drittel E-Autos gegen Verbrenner eingetauscht worden, die überwältigende Mehrheit dieser Wagen wurde nämlich weder gegen ein zweites E-Auto, noch gegen einen Verbrenner eingetauscht, sondern wie etwa 88 Prozent aller Autos in Deutschland schlicht von derselben Person weiter gefahren wie auch schon 2023.
Grundsätzlich wäre es sinnvoll, nicht nur die relativen Anteile zu nennen, denn was das im Gesamtbild tatsächlich bedeutet, ist für viele Menschen nicht gerade intuitiv erfassbar. So zitieren
FOCUS online und
NTV das HUK E-Barometer fast korrekt wenn das Magazin formuliert „Beim Autokauf steigt nur eine kleine Minderheit der deutschen Bevölkerung auf reine Elektroautos um. Im dritten Quartal dieses Jahres haben sich demnach nur 3,9 Prozent der privaten Autobesitzer bei der Anschaffung eines Wagens für ein Elektroauto entschieden.“ (tatsächlich haben sich 3,9 Prozent der Verbrennerfahrer für ein Elektroauto entschieden)
Uiuiui, da sieht ja düster aus für die E-Autos: 34 Prozent der E-Auto-Verkäufer wechseln zum Verbrenner zurück, aber nur die kleine Minderheit von 3,9 Prozent der Verbrenner-Verkäufer zum E-Auto? War das mit den E-Autos doch nur ein kurzlebiger Hype? Nein, die reinen Prozentzahlen führen uns in die Irre, da die Grundgesamtheit der Verbrennerautos mit 47 Millionen einfach viel, viel größer ist. Die „kleine Minderheit“ von 3,9 Prozent entspricht absolut gesehen ein paar 100.000 Autos und damit mutmaßlich einem Vielfachen der durch Verbrenner ersetzten E-Autos.
Auch auf die Behauptung „immer mehr E-Auto-Besitzer wechseln wieder zum Verbrenner“ (Auto Motor Sport, F.A.Z.) würde ich nicht beim Leben meiner Verwandten schwören, denn auch hierfür fehlen uns die absoluten Zahlen. Ja, der ANTEIL der Menschen, die ihr E-Auto gegen einen Verbrenner getauscht haben, ist von 28 Prozent auf 34 Prozent angestiegen. Wenn nun aber letztes Jahr 110.000 gebrauchte E-Autos verkauft wurden und dieses Jahr nur noch 90.000, dann wären dieses Jahr absolut weniger E-Auto-Besitzer zum Verbrenner gewechselt (28 Prozent von 110.000 sind 30.800, 34 Prozent von 90.000 sind 30.600.
Bevor nun in den Kommentaren auf alle Medien geschimpft wird: Diese sind nicht durchgängig im Duktus „Haha, eure E-Autos könnt ihr behalten geschrieben“, sondern thematisieren die HUK-Zahlen auch so, dass eine fallende elektrische Treuequote ein grundsätzliches Problem ist, das wir lösen müssen. Der MDR zitiert das Institut für Automobilwirtschaft mit Forderungen für Kaufanreize, der SPIEGEL verweist auf den global gesehen großen Zuspruch zur Elektromobilität. Die Auto Motor & Sport erklärt den Plan, Plug-in-Hybride als „Vorstufe“ zum späteren Elektroauto-Kauf ins Spiel zu bringen, für gescheitert und verweist darauf, dass das Angebot an Elektroautos ständig zunimmt, die Technik immer besser wird und sich auch im niedrigeren Preisbereich inzwischen einiges tut.
Warum aber zum Beispiel das ZDF
seinen Facebook-Post inklusive Anreißertext falsch formuliert und sich dann für das Moderieren der teilweise unterirdischen Kommentare zu fein ist, ist mir schleierhaft. Warum Auto Motor & Sport Unsinn wie „Privatkäufer haben kaum noch Interesse an Elektroautos“ formulieren muss, ebenfalls. Die Überschriften, die einem kompletten Drittel aller E-Auto-Fahrer unterstellen, zurückzuwechseln, sind ärgerlich, denn sie landen in der Form auf Seiten der AfD, bei Tichys Einblick und anderen gefährlichen Wirrköpfen.
Leider formuliert die HUK-Coburg das, wenn ihr das E-Barometer über Smartphone oder Tablet aufruft, in einer peppigen Grafik selbst so: „34 Prozent der E-Auto-Fahrer entscheiden sich 2024 wieder für den Verbrenner“. Nein, tun sie nicht
Ich habe das mal moniert und bin gespannt, ob es korrigiert wird.
Letztendlich haben aber weder die HUK noch die ernstzunehmenden Medien behauptet, die Treuequote sinke, weil E-Autos oder die Antriebswende schlecht seien. Es ist dort vielmehr eine Momentaufnahme, um zu zeigen, dass die Anreize für E-Autos zu gering oder unsere gesellschaftliche Kostenübernahme für Verbrenner zu hoch sind, um schnell genug vom Erdöl wegzukommen.
Sollte Euch das in Kommentaren oder Whatsapp-Gruppen anders begegnen, verweist gerne darauf. Auf ein stabiles Weltklima sind wir alle angewiesen, egal wer welche Motoren lieber mag. Wer in der Automobilbranche arbeitet, ist sogar besonders darauf angewiesen, denn die Märkte, in die wir noch lange Verbrennerautos exportieren können,
werden weniger.
Auf den Fehler aufmerksam wurde ich durch Jens Schoenfeld, der das
vorletzte Woche schon auf Twitter thematisiert hatte.
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Der Graslutscher.