Ho ho ho – Der Dunkelflauten-Adventskalender Türchen 1: Dunkelflaute ist absolut nichts NeuesWer
letzte Woche Medien konsumiert hat, musste wohl den Eindruck bekommen, dieses Dunkelflauten-Ding sei ein vollkommen innovatives Konzept. Ein gänzlich unerwartetes, alle Fachleute überraschendes Phänomen und jetzt seien wir recht spontan komplett angeschmiert. Toll! Nicht nur stirbt uns der Einzelhandel weg und chinesische Autos drängen in unsere Exportmärkte, nein, wir werden auch noch von sinistren Dunkelflauten heimgesucht. Übel! Sollten wir uns angesichts dieser Bedrohung zusammenfinden und gemeinsam unsere Angst herausschreien?
Nein, sollten wir nicht. Angst ist grundsätzlich kein guter Ratgeber. Keep calm and installiere Windkraft, denn Dunkelflauten gab’s schon immer. Erstaunlich in diesem Zusammenhang, dass die größten Verfechter der Atomkraft immer wieder German Angst in Bezug auf unseren Atomausstieg monieren, jetzt aber so tun (gerne mal bei NZZ, Welt und den Ruhrbaronen nachgucken, ich möchte Desinformation aber nicht verlinken), als würde die Dunkelflaute unsere Ernten vernichten und die Jugend verderben. Beherzigt doch bitte eure eigenen Ratschläge und chillt mal.
Ich sage das jetzt einfach so in meinem jugendlichen Leichtsinn, denn es gibt nicht mal eine einheitliche Definition für Dunkelflaute. Im Volksmund ist damit eine Periode mehrerer Tage gemeint, an denen wenig Wind weht und wenig Sonne scheint. Nun ist „wenig“ ein recht dehnbarer Begriff. Wir haben ja alle diesen einen Kumpel, der jedes Jahr um die Weihnachtszeit nur ganz wenig naschen will, den ihr dann aber auf dem Supermarktparkplatz dabei beobachtet, wie er einen Meter lange Riesen-Tobleronen in seinen Kofferraum stapelt. Sind bestimmt nur für die Kinder.
Manche definieren einen Tag Dunkelflaute so, dass weniger als 20% des Stroms aus erneuerbaren Quellen stammt (
4 Tage im Jahr 2024), andere nutzen als Benchmark 25% (
9 Tage im Jahr 2024) und wieder andere 30% (
21 Tage im Jahr 2024). Solche Werte haben natürlich Auswirkungen auf unser Stromnetz, auf die Importe und auf all die anderen Kraftwerke im Land, denn die müssen dann entsprechend die restliche Leistung liefern, also in den obigen Definitionen 80%, 75% oder 70%.
Ach du meine Güte, 80 Prozent vom gesamten deutschen Strombedarf ohne Erneuerbare? Solltet Ihr euch jetzt geschockt die Hände an Wangen oder Stirn gelegt und einen erschreckten Kiekser ausgestoßen haben angesichts dieses scheinbar aussichtslosen Unterfangens: Das war vor 20 Jahren noch der absolute Normalfall.
Zu dieser Zeit kamen insgesamt nur 10 Prozent des deutschen Stroms aus Wasser-, Biomasse- und Windkraft. Die restlichen 90% waren Kohle-, Gas- und Atomstrom. Und zwar nicht nur an einzelnen Tagen wie jetzt, das war über weite Teile des gesamten Jahres der Fall. Je mehr Erneuerbare wir zubauen, desto stärker sinkt die Zahl dieser Tage (Achtung, dem Jahr 2024 fehlen in dieser Darstellung noch 12 Tage):
Daten von den
Fraunhofer ISE Energy-Charts, Aufbereitung von mir
Rein aus Wettersicht waren das früher natürlich keine das komplette Jahr andauernden Dunkelflauten, ich kann mich ja an Schwimmbadbesuche im Jahr 2004 erinnern. Aber energetisch gesehen war das genau das gleiche wie die Situation letzte Woche, weil all der schöne Wind und die netten Photonen nutzlos verpufften: Es gab kaum Windstrom, so gut wie gar keinen Solarstrom, also mussten
die thermischen Kraftwerke fast den ganzen Bedarf stemmen (das sind solche, in denen mit Dampf ein Generator angetrieben wird, also Atomkraft, Kohlekraft, Gaskraft, Ölkraft).
Der größte Unterschied wird damals gewesen sein, dass das niemanden groß gejuckt hat, während heutzutage selbst die liberale taz Unsinn wie
„Der Zubau an Erneuerbaren läuft und damit bekommt Deutschland ein neues Problem“ formuliert. Nein, das Problem ist, dass Deutschland immer genug Backup-Kraftwerke braucht. Das war auch schon vor 20 Jahren so, da war der Der Bedarf an die Grundlastkraftwerke sogar etwas höher als heute (weil unser Stromverbrauch vor 20 Jahren höher war).
Das, was wir heute bei einer krassen Dunkelflaute erleben, war in den 1990er Jahren also der absolute Normalzustand. Es gab ein paar Prozent Wasserkraft, der Rest war Fossil- und Atomstrom. Dann kam die Energiewende und es wurden Jahr für Jahr immer größere Teile des Stroms aus Großkraftwerken durch Wind- und Solarkraft ersetzt.
Stellt euch das vielleicht vor wie einen Nachbarn, der nur ganz, ganz furchtbar kochen kann. Nennen wir ihn Knut und stellen uns vor, dass der arme Knut jeden Tag nur Haferflocken isst. Vorteil: Ist billig und gut lagerbar (so wie Kohle eben auch). Nun sind Vitamin C und Abwechslung aber auch was Feines und so ersetzt der Mann auf Euren Rat hin sukzessive immer mehr Haferflocken mit frischem, regionalem Obst (die Erneuerbaren), das je nach Jahreszeit gut verfügbar ist. Im Mai mit Erdbeeren, im Juni mit Kirschen, im Oktober mit Pflaumen und so weiter.
Eines Morgens im November hämmert es nun an der Tür und ihr blickt in Knuts panisches Gesicht, der sich bitter bei euch beschwert. Die Obstsaison sei ja jetzt vorbei und der FOCUS würde titeln „Achtung bei Obstkonsum: Angebot frischer Früchte sinkt im Winter merklich!“. Auf eure Frage hin, warum er nicht einfach wieder mehr Haferflocken gegessen habe, kratzt Knut sich kurz am Kopf und sagt „Weiß auch nicht, der FOCUS-Artikel klang so bedrohlich, da habe ich vor lauter Angst nur Radiergummis gegessen“.
Bitte nehmt die Metapher nicht allzu wörtlich, aus Ernährungssicht würde ich weder zu einer 100% Haferflocken – noch zu einer 100%-Obst-Diät raten, aber in dieser Analogie haben wir einfach immer genug Haferflocken im Schrank, um Zeiten mit wenig Obst zu überbrücken. Und so ist das mit Erneuerbarem Strom und fossilem Strom eben auch: Es ist rein aus Kaloriensicht schlussendlich egal, ob es nun für 12 Stunden oder 7 Tage keine Erdbeeren gibt, solange der Schrank voller Haferflocken ist.
Dass es letzte Woche dann auf einmal doch kurzfristig sehr teuer wurde, ist aktuell Gegenstand vieler Diskussionen und
Grund für Ratlosigkeit unter Fachleuten, denn unser Kraftwerkspark muss immer in der Lage sein, auch nachts bei kompletter Windstille die Versorgung zu sichern. Wir haben in Deutschland
eine eigene Behörde mit der Aufgabe, genau das sicherzustellen, damit uns eben nicht eines Tages komplett die Haferflocken ausgehen.
Ihr könnt
hier die aktuelle Haferflocken- bzw. Kraftwerksliste einsehen, auf der beruhigende 59,3 Gigawatt fossile Kraftwerksleistung aufgeführt werden (beruhigend, weil wetterunabhängig). Dazu kommen noch Wasserkraft und Biomasse und für ein paar Stunden können außerdem 10 Gigawatt Pumpspeicher das Netz entlasten. Für den seltenen Fall, dass auch das nicht reicht,
gibt es darüber hinaus noch Reserven. Das sind Kraftwerke, die ihren Strom nicht auf den Strommärkten verkaufen dürfen, sondern für Notfälle bereitstehen, so als hätte Knut immer noch eine Kiste mit Proteinriegeln im Garten vergraben.
Quelle
Fraunhofer ISE Energy ChartsAlle diese Kraftwerke zusammen können aktuell auch bei kompletter Flaute etwa 100 Gigawatt auf die Beine stellen, ohne die Pumpspeicher sind es dauerhaft etwa 90 Gigawatt. Der maximale Bedarf lag in Deutschland im Jahr 2024 lag bei 76 Gigawatt (rote Linie in der Grafik). In dieser Situation würde ich Knut also gerne an die Hand nehmen, ihn zu seinem prall gefüllten Vorratsschrank führen. Oder wir gehen mit Knut mal rüber zu unseren europäischen Nachbarn, die ja ebenfalls immer stärker auf Wind- und Solarkraft setzen.
Im Vereinigten Königreich fiel die Erzeugung aus Windstrom letzte Woche
auf 2 Gigawatt von 40 Gigawatt Bedarf, in Dänemark
waren es nicht mal 0,1 Gigawatt von 5 Gigawatt Bedarf. In Kopenhagen und London blieben die Medien dennoch sachlicher, vermutlich werden diese Abschnitte ins Verhältnis gesetzt mit den restlichen 364 Tagen des Jahres, denn insgesamt wirken sich diese Phasen kaum auf die entscheidenden Ziele aus.
Die Frage, wie die europäischen Börsenstrompreise – wenn auch nur kurzzeitig – so ansteigen konnten, obwohl unsere Vorräte doch so umfangreich sind, ist dennoch interessant. Darum soll es morgen im zweiten Teil vom Dunkelflauten-Adventskalender gehen
Sollte Euch das Format gefallen: Ich baue aus diesem Adventskalender ein neues Kapitel für mein Buch „Klima Bullshit Bingo“. Dafür wird es nochmal gesetzt und es gibt ein paar treffende Antwort-Vorlagen für Eure Verwandten, die in der Familien-Whatsapp-Gruppe vor der Dunkelflaute warnen.
Wer bis zum 24.12.2024 ein Exemplar bestellt, bekommt das zusätzliche Kapitel nach Weihnachten per PDF zugeschickt, dazu einfach eine Mail mit der Quittung an
info@komplett-media.com schicken
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