Sie wollen einfach nichts lernenIn dervergangenen Woche hat Innenminister Dobrindt schon wieder die Neuauflage der Vorratsdatenspeicherung angekündigt. Vier höchstrichterliche Urteile, die die Massenspeicherung von Kommunikationsdaten unbescholtener Bürger:innen als unverhältnismäßig, Grundrechtswidrig und sachlich nicht zielführend bezeichnet und immer wieder bekräftigt haben. Immer wieder pfeifen sie die falsche Melodie in den Wald.
Die Methode ist bekannt: Kindesmißbrauch im Internet – das schärfste Argument der Überwachungsfetischisten – dagegen müsse doch etwas getan werden! Und das einzige Mittel dagegen, wird seit einem Vierteljahrhundert wahrheitswidrig immer wieder behauptet, sei die Vorratsdatenspeicherung von Millionen Daten unbescholtener Bürger:innen. Dabei sind erst kürzlich wieder Gesetze der EU in Kraft getreten, die es erlauben würden, gegen Straftaten im Netz vorzugehen: Den Digital Services Act, den Digital Markets Act und neuerdings den IA-Act – ach ja und nicht zu vergessen das von Justizminister Heiko Maas damals mit Hängen und Würgen verabschiedete
Netzwerkdurchsetzungsgesetz – so heisst das wirklich. Aber leider gibt es seit Jahren ein eklatantes Vollzugsdefizit, das an systematisches Staatsversagen grenzt.
Nicht an Gesetzen mangelt es, sondern am VollzugDenn eigentlich bietet das letztere Gesetz die Möglichkeit, gegen Hass, Hetze und Kriminalität im Netz gegenüber dem Providern vorzugehen, die Entfernung von Inhalten und vor allem den Opfern von Kriminalität einen Anspruch auf Auskunft der Bestandsdaten der Täter gewährt – und damit natürlich bei Offizialdelikten auch der Polizei. Ein Gesetz, das Maas inzwischen selbst für zu harmlos hält. Dessen fehlende Durchsetzung aber der Hauptgrund ist, dass sexualisierte Gewalt, Hasskriminalität, weder von den Ermittlungsbehörden hartnäckig genug verfolgt werden, weil sie nicht genügend kompetentes Personal haben, noch die Bereitschaft bei der Politik besteht, gegen die Provider, die sich nach wie vor versuchen, ihrer Verantwortung für die übermittelten Inhalte entziehen, konsequent und mit hohen Strafen vorzugehen. Es geht nicht mehr und nicht weniger darum, die bestehenden Gesetze einfach einmal konsequent anzuwenden.
Ablenkungsmanöver statt DurchsetzungLieber erweckt die CDU/CSU ohne Widerspruch der SPD stattdessen den Eindruck, als ob die immer umfassendere Überwachung der Bevölkerung der Schlüssel zum Erfolg sei. Dabei sehen es Teile der Sicherheitsbehörden selbst kritisch, würden sie noch mehr Datenfriedhöfe durchforsten müssen. Die Anschaffung von “Palatir”, der höchst problematischen Software des antidemokratischen Tech-Oligarchen Peter Thiel wäre quasi der zwingende nächste Schritt. Beide Maßnahmen nützen nicht nur de facto nichts zur Kriminalitätsbekämpfung und zur Eindämmung von Hass, Hetze und Demokratiefeindlichkeit im Netz – sie spielen den antidemokratischen Betreibern der (a)sozialen Netzwerke voll in die Hände – egal, ob sie in den USA oder in China sitzen.
Fataler Deal zulasten der Grundrechte drohtNoch schlimmer: Alle drei Europäischen Gesetze einschließlich der Datenschutz-Grundverordnung, haben CDU und andere rechte Parteien wiederholt als Beispiele genannt, was sie meinen, wenn sie die angeblich überbordende Bürokratie beklagen. Und die Gerüchte aus Brüssel verstummen nicht, die kolportieren, dass im Rahmen der Trump’schen Zollerpressungen auch besprochen worden sein soll, inwieweit die Europäer bereit sind, die ohnehin noch nicht voll in Kraft getretenen vier Vorschriften zugunsten der Interessen der Tech-Milliardäre wieder aufzuweichen und ihnen in die Hände zu spielen.
Unwissen, keinerlei ProblembewusstseinWährend aufgrund des Ukraine-Krieges und neuerdings auch im Zusammenhang mit Trumps Europapolitik und seines immer wieder erkennbaren Seitenwechsels hin zu Putin offiziell von “mehr Resilienz” der Systeme und Infrastrukturen in Europa – auch im Bereich der IT-Technik und der Raumfahrt die Rede ist, gehen Politik und Verwaltung immer wieder den prioritären Systemen der US-Tech-Branche in die Falle: Anstatt ein eigenes wirklich soziales Netzwerk mit Unterstützung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aufzubauen, eine eigene “Palantir”-ähnliche Software zu entwickeln oder zumindest Sicherheitsstandards für die eigene Verwaltung auf Basis von Linux und anderer Open Source zu schaffen, werden eigens dafür gegründete Institutionen wie z.B. die bundeseigene “ZENDIS GmbH” in Bochum stiefmütterlich behandelt und auch die NRW-Landesregierung hofiert lieber Microsoft, die – natürlich gegen Millionensubventionen – im ehemaligen Braunkohletagebau ein Rechenzentrum errichten wollen.
Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland.
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