Deutschland ist kein souveränder StaatIch bin in der letzten Woche dreimal unabhängig voneinander über den Begriff der (staatlichen) Souveränität gestolpert... das fand ich spannend.
Das erste Mal war im
Nachgefragt-Podcast zum Thema Reichsbürger (leider nicht so tolle Audio-Qualität, aber inhaltlich spannend). Ein Argument aus dem "Reichsbürger"-Umfeld ist nämlich, das Deutschland kein "souveräner Staat" sei. Die Kurzversion der Antwort ist: Souveränität bedeutet, dass ein Staat seine Interessen uneingeschränkt -- auch gegen die Interessen seiner Bürger (innere Souveränität) oder anderer Staaten (äußere Souveränität) -- durchsetzen kann. Das trifft
zum Glück auf keinen Staat der Welt zu. Demokratische Staaten halten sich weitgehend an die Menschenrechte und Interessen anderer Staaten kann auch kein Staat völlig ignorieren.
Aber wenn wir von dieser harten Definition ein Stück zurücktreten und überlegen, was der Begriff sonst noch bedeuten kann, dann kommen wir vermutlich schnell auf so etwas wie "Selbstbestimmung". Das ist ja auch, was die Reichsbürger-Argumentation bedeuten soll: Deutschland ist nicht selbstbestimmt, sondern abhängig von den USA. Oder der EU. Oder der Russen, der Chinesen, der Illuminati oder wer auch immer dein bevorzugter Buhmann ist. Jedenfalls kann der deutsche Staat nicht völlig frei und unabhängig Entscheidungen treffen. Und das ist eben korrekt.
Das bringt mich aber schon zu dem zweiten Podcast, wo ich das Thema gehört habe, nämlich in der aktuellen Ausgabe des
Alternativlos-Podcasts. Hier ging es um Huawei und die USA, die EU und speziell Deutschland, und die Feststellung, dass viele Staaten auf der Welt ihre "technologische Souveränität" aufgeben. Und zwar bereitwillig und vorsätzlich.
Wenn wir die Souveränität im Sinne von "Möglichkeit, selbstbestimmt Entscheidungen zu treffen und durchzusetzen" sehen ist auch schnell klar, was gemeint ist: wir werden mehr und mehr abhängig von Technik, beispielsweise dem Internet. Nicht nur weil Katzenbilder und in der Gestaltung der Abendunterhaltung (Netflix), sondern auch in den Möglichkeiten der Meinungsäußerung (Youtube, Facebook, Instagram), im Handel (Online-Banking, Amazon), im Fernverkehr (wir erinnern uns, dass
ein Computervirus die Deutsche Bahn lahmlegen konnte), selbst in der demokratischen Mitbestimmung (E-Voting), usw. usf. Bei so kritischer Infrastruktur tun wir natürlich alles, um diese Infrastruktur bestmöglich zu schützen und vor allem selbst zu verstehen und bauen zu können. Nicht.
In Wahrheit wollen wir unsere kritische Infrastruktur wie unser Essen: schnell, billig, viel. Und wer kann schnell und billig und viel? China. Deswegen hat Huawei ja so einen starken Einfluss und deswegen geht die USA gegen diesen Einfluss vor. Im Sinne einer technologischen Souveränität bräuchten wir aber eigenes Know-How und eigene Fabriken, die Computer und Server bauen. Der große Feind von technologische Selbstbestimmung ist fehlendes Know-How. Und dieses Know-How bauen alle "westlichen" Staaten gerade ab und verschieben es nach Asien, weil schnell und billig.
A propos "wie unser Essen": das war die dritte Gelegenheit, wo ich den Begriff gehört habe. Ich habe gestern die Dokumentation
10 Milliarden im
Casablanca gesehen. In dem Film kam auch der Begriff der Souveränität vor. Oder ich habe es mir eingebildet, kann auch sein. Auf jeden Fall kam das Thema vor.
Unsere Nahrungsmittelindustrie ist auf weltweiten Handel ausgelegt. Vieles, was wir essen wird quer über den Globus geflogen oder geschippt. Was würde passieren, wenn das mal nicht mehr klappt? Das wurde im Film am Beispiel des
Ausbruch des Eyjafjallajökull 2010 beschrieben. England war wenige Tage von einer Hungersnot entfernt. 2010! England!!! Und ich bin mir sicher, dass viele andere Staaten ein ähnliches Problem hatten. Wir mächtigen, stolzen, arroganten westlichen Länder sind vollkommen abhängig davon, dass unser tägliches Essen aus Asien und Afrika eingeflogen wird. Falls das mal ein paar Tage nicht klappt,
dann...Und das System ist nicht unbedingt
resilient: Fliegen könnte einige Zeit nicht möglich sein (wie beim Eyjafjallajökull). Oder ein großer Lebensmittel-Produzent wie China möchte außenpolitisch seine Muskeln spielen lassen. Oder es gibt tatsächlich einen großen Ernteausfall in so einer Region. Oder Börsenspekulanten stören das System. Oder ein Computervirus legt das Internet eine Zeit lang lahm und die Lieferungen können nicht mehr koordiniert werden. Oder ein eigentlich unbeteiligter Staat unterbindet die Fluglieferungen militärisch. Oder eine Propagandakampagne suggeriert einfach irgend etwas davon um eine Massenpanik auszulösen. Oder... oder... oder...
Nachdem sich mir das Thema also quasi aufgedrängt hat wollte ich einfach mal loswerden: Deutschland ist offenbar kein souveränder Staat, weder völkerrechtlich (zum Glück!), noch sind wir wirtschaftlich unabhängig genug, um eigenständig, selbstbestimmt Entscheidungen treffen und durchsetzen zu können -- dafür gibt es zu tiefe Abhängigkeiten in kritischen und selbst lebenswichtigen Bereichen.
Wir sollten also daran arbeiten, dass eine Grundversorgung mit Lebensmitteln regional stattfinden kann und vor allem dass wir das Know-How für kritische Infrastruktur bei uns behalten.
Eine kleine witzige Pointe zum Schluss habe ich noch: meine Gedanken gelten natürlich nicht nur für Deutschland und andere Staaten, sondern analog auch für Regionen, Kommunen, Gemeinschaften, Familien und letztlich jeden Einzelnen.
- Thomas
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